Hasskriminalität verhindern und Straftaten auf Plattformen sozialer Netzwerke verfolgen. Dieses Ziel verbirgt sich hinter dem sperrig anmutendem Begriff Netzwerkdurchsetzungsgesetz, kurz NetzDG. Seit dem 1. Januar 2018 gilt das NetzDG für Plattformen wie Facebook, Youtube, Twitter, Instagram. Das Gesetz erntet viel Kritik in der Umsetzung. Der Fokus liegt auf Symptombekämpfung, die Auseinandersetzung mit den Ursachen ist ein Bildungsauftrag für die Demokratieförderung.
Von Maria Grüning
Die Entstehung
Aufgrund der Zunahme von Hasskriminalität im Internet gründete das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz 2015 eine Arbeitsgruppe, die darüber beriet, wie mit strafbaren Inhalten in sozialen Netzwerken umgegangen werden soll. Die Task-Force „Umgang mit rechtswidrigen Hassbotschaften im Internet“ zu der neben der Bundesregierung auch die Unternehmen Google, Facebook, Twitter, Youtube und zivilgesellschaftliche Organisationen wie beispielsweise die Amadeu Antonio Stiftung und Gesicht Zeigen e.V. gehörten, einigten sich darauf, dass strafbare Inhalte künftig schneller aus dem Netz entfernt werden sollen. Eine Auswertung der mit den Unternehmen vereinbarten Praxis durch jugendschutz.net Anfang 2017 ergab, dass die Löschung von Hasskommentaren nur unzureichend erfolgte. Youtube löschte demnach 90 Prozent der strafbaren Inhalte, bei Facebook waren es 39 Prozent und bei Twitter lediglich ein Prozent. Daraufhin stellte Bundesjustizminister Heiko Maas im Frühjahr 2017 den Entwurf für das NetzDG vor, welches im Juni 2017 verabschiedet wurde. Im August 2017 haben wir mit Heiko Maas über Hate Speech und das NetzDG gesprochen.
Was steht im NetzDG?
Gesetzliche Berichtspflicht über den Umgang mit Hasskriminalität, ein Beschwerdemanagement, die Benennung eines inländischen Zustellungsbevollmächtigten und ein Auskunftsanspruch gegen die Betreiber sozialer Netzwerke gehören nun zu den Pflichten betreffender Plattformen, deren Verstoß z.T. mit hohen Bußgeldern geahndet wird. Konkret heißt das beispielsweise, dass Twitter, Facebook und Youtube verpflichtet sind, „offensichtlich rechtswidrige Inhalte” binnen 24 Stunden nach Beschwerdeeingang zu löschen oder zu sperren. Für Inhalte, die nicht offensichtlich rechtswidrig sind, haben die Plattformbetreiber*innen sieben Tage Zeit, bevor bei Verstoß Bußgelder in Millionenhöhe drohen. Zu besagten Inhalten zählen Straftatbestände wie Volksverhetzung, Verleumndung, üble Nachrede, öffentliche Aufforderung zu Straftaten, Gewaltdarstellung und Bedrohung. Verweise auf entsprechende Paragraphen im Strafgesetzbuch, finden sich im NetzDG mit Verweis auf §§ 86, 86a,89a, 91, 100a, 111, 126, 129 bis 129b, 130, 131, 140, 166, 184b in Verbindung mit 184d, 185 bis 187, 201a, 241 oder 269 des Strafgesetzbuchs (NetzDG, Artikel 1, § 1, Abs. 3)
Einschränkung der Meinungsfreiheit:
Befürchtungen bewahrheiten sich, Reform des NetzDG notwendig
Viele Expert*innen kritisierten bereits den Entwurf des NetzDG im April 2017, beispielsweise in der Deklaration für die Meinungsfreiheit. Das NetzDG führe zur Einschränkung der Meinungsfreiheit, mahnten die Kritiker*innen. Meinungsfreiheit hat einen hohen Stellenwert in einer demokratischen Gesellschaft und findet Grenzen erst da, wo die Rechte und die Würde anderer verletzt werden. Die Ahndung strafbarer Inhalte und absichtlich verbreiteter Falschmeldungen sei notwendig, die Feststellung von Rechtswidrigkeit obliegt jedoch der Justiz. Das NetzDG verpflichtet die Plattformbetreiber*innen, zu entscheiden, welche Beiträge von der Meinungsfreiheit gedeckt sind und welche nicht. Zudem könnten die kurzen Löschfristen etwa dazu führen, dass die Plattformbetreiber*innen im Zweifel auch Beiträge legitimer Meinungsäußerung löschen, um den drohenden Bußgeldern bei Verstoß zu entgehen. Die Befürchtung, es könne zu sogenanntem „Overblocking“ kommen, bewahrheitete sich, beispielsweise wurde der Twitter-Account des Satiremagazins “Titanic” aufgrund eines parodistischen Tweets von „Beatrix von Storch“ 48 Stunden lang gesperrt.
Problematisch ist weiterhin, dass private, profitorientierte Unternehmen mit ihren Plattformen als wichtige Foren öffentlicher Meinung fungieren. Sind die Plattformen eine Art öffentlicher Raum? Und wenn ja, wie können die Rechte der Nutzer*innen hier gewährleistet werden?
In der geplanten Neuauflage der Großen Koalition zwischen SPD, CDU und CSU soll auch das NetzDG reformiert werden, um bspw. Overblocking entgegenzuwirken. Für die Verankerung eines Wiederherstellungsanspruchs bei ungerechtfertigten Löschungen im NetzDG spricht sich SPD- Justizsprecher Johannes Fercher aus. Die CDU-Politikerin Schön hält die Verpflichtung der Plattformen zur Zusammenarbeit mit einer freiwilligen Selbstkontrolle für notwendig, um deren Verfahren transparenter zu machen, sagt sie im Interview mit dem Handelsblatt. Die Amadeu Antonio Stiftung fordert ebenso, bei der praktischen Umsetzung nachzuarbeiten. Plattformbetreiber*innen sollten „die Möglichkeit erhalten, Zweifelsfälle an rechtsstaatlich zuständige Stellen zu übergeben, ohne dass dabei ein Bußgeld wegen verzögerter Bearbeitung von Meldungen droht”, schlägt die Amadeu Antonio Stiftung in ihrer erneuerten Kritik am NetzDG vor.
Auch wenn die Bemühungen seitens der Gesetzgeber*innen zu begrüßen sind, sich dem Problem der strafbaren Hassrede anzunehmen, muss das Engagement der Bundesregierung ebenso eine gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema Hate Speech forcieren. Dazu gehören Investitionen in digitale demokratische Bildung und die Stärkung zivilgesellschaftlicher Akteur*innen, die sich gegen Hass im Netz und für eine demokratische Debattenkultur einsetzen. Mit Blick auf die Ursachen von Hate Speech wird ein Auftrag an Demokratiebildung deutlich, der über strafrechtlich relevanten Hass im Netz hinausgeht.
Bildung gegen Menschenfeindlichkeit und für demokratische Debattenkultur im Netz
Hate Speech oder Hassrede ist kein unproblematischer Begriff. Laut Liriam Sponholz handelt es sich bei Hate Speech im Kern „um eine Form der kommunikativen Herstellung menschlicher Minderwertigkeit.” (Sponholz, 2018, S. 48) Der Begriff Hate oder Hass legt nahe, Hate Speech als emotionales Problem zu behandeln, als affektuelle Handlung und damit irrationales Phänomen, welches im Individuum verortet ist (vgl. Sponholz 2018). Bei dieser Betrachtung wird Hate Speech als Art der Kommunikation politischer Propaganda im Sinne einer Zweckrationalität vernachlässigt und beispielsweise rechts-alternative Medienstrategien geraten aus dem Blick. Die Verbreitung von Ungleichwertigkeits-Erzählungen, die „Volksaustausch”, „Islamisierung”, „Weltverschwörung”, „Ethnopluralismus” etc. propagieren, müssen stets auf ihren ideologischen Gehalt und ihre strategische Dimension hin beleuchtet werden. Das Phänomen Hate Speech geht häufig mit der Verbreitung von Diskriminierung, also mit der Abwertung und Verunglimpfung von Bevölkerungsgruppen einher, die begleitenden Erzählungen untermauern diese (vgl. Amadeu Antonio Stiftung 2017). Oben genannte Erzählungen finden sich (nicht ausschließlich) im Rechtsextremismus, Rechtspopulismus und in verschwörungstheoretischen Kontexten. Sie lassen sich nicht per Gesetz verbieten, denn sie entfalten ihre Wirkung durch einen gemäßigteren Ton. Sie können Radikalisierungsprozesse befördern, machen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit salonfähig und drängen Betroffene aus dem Diskurs. Im Sinne einer digitalen demokratischen Debattenkultur gilt es deshalb, die Zivilgesellschaft zu stärken und Präventionsarbeit auszubauen. Dass sich bspw. Rechtsextreme über das World Wide Web vernetzen, dort mobilisieren und neue Anhänger*innen rekrutieren, wird sich nicht ändern, „vielmehr bleibt die Herausforderung bestehen, die vielen Formen des verschleierten Rechtsextremismus insbesondere der Neuen Rechten zu erkennen und zu dechiffrieren.” (Dinar/Heyken 2018, S. 51)
Unter dem Motto „befähigen statt beschützen” knüpft #hatebreach in Bildungsangeboten in nordhessichen Schulen daran an. Interesse?
Quellen:
- http://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/BGBl_NetzDG.pdf;jsessionid=D9BA9EF03E20FEA2B0EC12D7EC2E0529.2_cid324?__blob=publicationFile&v=2 (Letzter Zugriff: 27.02.2018)
- https://www.bmjv.de/SharedDocs/Artikel/DE/2015/12152015_ErgebnisrundeTaskForce.html (Letzter Zugriff: 27.02.2018)
- http://deklaration-fuer-meinungsfreiheit.de/ (Letzter Zugriff: 27.02.2018)
- http://www.amadeu-antonio-stiftung.de/stellungnahme_netzdg (Letzter Zugriff: 27.02.2018)
- http://www.amadeu-antonio-stiftung.de/aktuelles/2018/amadeu-antonio-stiftung-erneuert-kritik-an-netzdg/ (Letzter Zugriff: 27.02.2018)
- https://netzpolitik.org/2018/nach-zehn-wochen-regierungspolitiker-denken-laut-ueber-netzdg-reform-nach/ (Letzter Zugriff: 12.03.2018)
- https://www.tagesspiegel.de/medien/debatte-um-meinungsfreiheit-und-netzdg-twitter-entsperrt-account-des-satiremagazins-titanic/20816856.html (Letzter Zugriff: 12.03.2018)
- http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/jahresbericht-eco-beschwerdestelle-hasskommentare-werden-erst-nach-80-tagen-geloescht-kampf-gegen-hetze-immer-schwieriger/21036330.html (Letzter Zugriff: 12.03.2018)
Literatur
Amadeu Antonio Stiftung (2017): Toxische Narrative. Monitoring rechts-alternativer Akteure. Online: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/w/files/publikationen/monitoring-2017.pdf (Letzter Zugriff: 12.03.2018)
Brodnig, Ingrid (2016): Hass im Netz. Was wir gegen Hetze, Mobbing und Lügen tun können. Christian Brandstätter Verlag, Wien.
Dinar, Christina; Heyken, Cornelia (2018): Rechte Propaganda im Internet und in den sozialen Netzwerken des Web 2.0, in: Nie wieder. Schon wieder. Immer noch. Rechtsextremismus in Deutschland seit 1945. Metropol Verlag, München. S. 41-54.
Sponholz, Liriam (2018): Hate Speech in den Massenmedien. Theoretische Grundlagen und empirische Umsetzung. Springer Fachmedien Wiesbaden.