Was ist Hate Speech?

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ereits 1997 definierte das Ministerkomitee des Europarates „Hassrede”, als „jegliche Ausdrucksformen, welche Rassenhass, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus oder andere Formen von Hass, die auf Intoleranz gründen, propagieren, dazu anstiften, sie fördern oder rechtfertigen, einschliesslich (sic) der Intoleranz, die sich in Form eines aggressiven Nationalismus und Ethnozentrismus, einer Diskriminierung und Feindseligkeit gegenüber Minderheiten, Einwanderern und der Einwanderung entstammenden Personen ausdrücken.” (Empfehlung Nr. R (97) 20 des Ministerkomitees an die Mitgliedsstaaten über die „Hassrede“, angenommen vom Ministerkomitee am 30. Oktober 1997, S. 2)

Hassrede, oder auch „Hate Speech“ ist kein neues Phänomen und nicht auf das Internet und soziale Medien beschränkt. Mit dem zunehmenden Erfolg und der regen Nutzung von sozialen Medien, wie beispielsweise Facebook, Twitter, YouTube und Instagram, wird Hate Speech sichtbarer und ein Problem für die demokratische Gesellschaft. Aber warum ist das so? Unlängst sind soziale Medien kommunikative Infrastruktur geworden. Privatpersonen, Unternehmen, Parteien und Initiativen kommunizieren über diverse Kanäle im Internet, die Gesellschaft ist im digitalen Alltag angekommen. Der klassische Leserbief existiert zwar noch, hat aber an Relevanz verloren. Stattdessen können Nutzer*innen ihre Meinung zu direkt und potentiell diskursiv in Kommentarspalten der Nachrichtenhäuser (öffentlich) kundtun.  Konsequenz daraus ist, dass sich im Netz auch über politische Themen ausgetauscht wird, Prozesse der Meinungsbildung angestoßen und Themen und Anliegen verfolgt werden. Das Internet und besonders die im www angebotenen Plattformen, bringen großes Potential für Partizipation, also Teilhabe an politischen Prozessen und Debatten in der Gesellschaft mit sich. Hier lohnt sich ein Blick auf die Wirksamkeit, der hier nicht abgebildet werden kann. Facebook & Co. haben das Potential, als  „demokratische Infrastruktur“ digital verknüpfter Gesellschaften genutzt zu werden. Ob es problematisch ist, dass wenige privatwirtschaftlich agierende internationale Firmen diese Infrastruktur bereitstellen, ist eine wichtige, aber ebenfalls  hier nicht zu beantwortende Frage.

Wo ist das Problem?
Hate Speech schadet dem (politischen) Austausch im Netz. Es bleibt die Hoffnung, dass die Zahl derer, die „haten” nicht so groß ist, wie es die Menge der zu beobachtenden Hass-Beiträge vermuten lässt. Dennoch hat diese vermeintliche Minderheit eine große Wirkmacht und wird sehr deutlich wahrgenommen. Dies schadet allen. Diskurse werden durch Hate Speech gestört und zerstört und Menschen werden aus Debatten und Diskussionen verdrängt. Durch technische Aspekte (Filterblase, Algorithmen) und psychologische Gegebenheiten (Emotionen fördern Interesse an Beiträgen) kann von Wenigen die Meinung Vieler beeinflusst werden: Fremdzuschreibungen und Gruppenzugehörigkeiten werden, ebenso wie Behauptungen (ob wahr oder nicht), konstruiert und immer wieder wiederholt, bis diese sich im kollektiven Gedächtnis der Gesellschaft wiederfinden. Hate Speech kann also den Boden für extremistische Botschaften und daraus resultierenden Handlungen bereiten, begünstigt Radikalisierungsentwicklungen und verstärkt Polarisierung und gesellschaftliche Spaltung. Die individuellen Folgen können ebenfalls gravierend sein. Der psychologische Druck, der durch Hate Speech ausgelöst werden kann, ist enorm. Angst, Selbstzweifel und Traumata sind häufige persönliche Folgen.

Es gibt nicht den Hass im Netz
Die Formen von Hass im Netz sind genauso vielfältig, wie die Motive zu hassen. Das kann allgemeiner Ärger sein, Frust, das Erleben von Marginalisierung, Gefühle, Macht und das Verfolgen politischer Ziele oder einfach Spaß daran, andere zu reizen. Deshalb tritt Hate Speech in verschiedenen Formen auf. Es gibt strafbare Beiträge, wie Beleidigungen, Drohungen, Aufrufe zu Gewalt und Volksverhetzung. Allerdings ist häufig unklar, wann eine Straftat vorliegt, oder Beiträge von durch die Meinungs- und Kunstfreiheit geschützt sind. Das Phänomen Hate Speech ist durchaus weiter zu fassen. Auch nicht strafbare Inhalte müssen betrachtet werden, wenn demokratischer und respektvoller Umgang miteinander im Netz erreicht werden soll. Besonders die Phänomene Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit sind dabei wichtig. (Fremd zugewiesene) Gruppenzuordnungen mit einhergehender Herabsetzung dieser Gruppen sind weit verbreitet. Konkret lassen sich dort die Bereiche der ethnischen Zugehörigkeit, nationaler Herkunft, sexueller Orientierung, Geschlecht, Religion, Alter, Behinderung oder Migrant*innen benennen. Die Herabsetzung äußerst sich in antisemitischen, homophoben oder rassistischen Statements, um nur eine kleine Auswahl zu nennen. Ferner sind Diskussionsstörungen wie Trolling oder auch das Verbreiten von Fake News in der Rubrik Hate Speech zu nennen. Auch wenn es nicht strafbar ist, Falschmeldungen zu verbreiten oder durch Trolling Emotionen hochkochen zu lassen, tragen diese Formen von Beiträgen, genau wie die Phänomene Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, zum Verlust sachlicher und fairer Debatten im Netz bei. Daraus resultiert die Erkenntnis, dass Hate Speech einer breiteren Betrachtung bedarf, über die strafbaren Inhalte hinaus.

Meinungsfreiheit in Gefahr
Oft sind es die Hater*innen, die davon sprechen, ihre Meinungsfreiheit sei in Gefahr. Das Gegenteil ist der Fall: Durch Hass in Kommentaren und Beiträgen wird die Meinungsfreiheit anderer – direkt oder indirekt – eingeschränkt. Betroffene von Hate Speech sind häufig raus aus der Diskussion, wenn die Stimmung kippt. Oder sie diskutieren gar nicht erst mit, wenn bereits einschlägige Erfahrungen mit Hass im Netz gemacht wurden oder dies zu erwarten ist. Der Fachausdruck dafür ist „Silencing“ und bedeutet, dass Menschen durch Verunglimpfungen, Drohungen etc. zum Verstummen gebracht werden. Meinungsfreiheit bedeutet, dass alle, die wollen, ihre Meinung sagen können. Ohne dafür Hass entgegen geschmettert zu bekommen, aber auch ohne andere zu diskriminieren. Meinungsfreiheit wird nicht erreicht, indem schlicht alles gesagt und geschrieben werden kann, was nicht strafbar ist, sondern dann, wenn Diskurse fair geführt werden, Menschen- und Grundrechte gewahrt bleiben und andere Meinungen ausgehalten werden, statt diese nieder zu machen. Gerade das Aushalten anderer Meinungen ist schwierig und anstrengend. Sich anderen, unbequemen, ungemochten und ungelebten Meinungen sachlich zu stellen, ist aber allemal zielführender, als in Hate Speech zu verfallen. Diese demokratischen Grundprinzipien müssen auch im Netz gelten.

Gesellschaftliche Folgen von Hate Speech
Betroffen von Hate Speech sind wir alle, besonders als Akteur*innen im digitalen Raum, aber auch als Gesellschaft insgesamt. Die Folgen für den öffentlichen Diskurs machen dies deutlich: Kommentarfunktionen werden geschlossen, weil die Moderation zu viele Ressourcen bindet. Dadurch entfallen Möglichkeiten zur Online-Partizipation. Ferner wird Unsagbares gesellschaftsfähig. Standpunkte der „Neuen Rechten“ werden durch Hate Speech salonfähig, nicht weil deren Argumente so schlüssig sind, sie schleichen sich durch stetige Wiederholung in das Gedächtnis der Gesellschaft ein. Hass im Netz führt zu physischer Gewalt. Die enthemmten Kommentator*innen bestärken auch Menschen darin,  sich “analoger” Gewalt zu bedienen.  Sie fühlen sich im Recht und unterstützt von der scheinbar großen Zahl Gleichgesinnter im Netz.

Zum Weiterlesen:

Algorithmen sind Softwareprodukte, die steuern, was wir in Sozialen Medien und der Suchmaschine angezeigt bekommen

Das NetzDG und Bildung gegen Menschenfeindlichkeit 

Was tun gegen Hass im Netz?

Aktuelle, ausführliche Publikation zu Hate Speech im Netz:
Kai Kaspar; Lars Gräfer; Aycha Riffi (Hrsg.): Online Hate Speech. Perspektiven auf eine neue Form des Hasses, Marl, 2017.
Eine Open Access Version dieses Bandes ist zu finden unter:
http://www.grimme-institut.de/schriftenreihe

Publikation der Amadeu Antonio Stiftung „Geh sterben!” – Umgang mit Hate Speech und Kommentaren im Internet

Maibauer, Jörg (Hg.)(2013): Hassrede/Hate Speech. Interdisziplinäre Beiträge zu einer aktuellen Diskussion. Gießender Elektronische Bibliothek.